Ursprünglich 1942 als „Reichsbahnbunker“ erbaut, bot der Koloss zeitweise 4.000 Flüchtlingen aus den angrenzenden Straßenzügen Schutz. Nach dem Krieg erklärte ihn die Rote Armee zum Kriegsgefängnis, zehn Jahre später lagerten im „Bananenbunker“ Südfrüchte und nach der Wende feierte die Generation Techno mit Fetischparties den Bunker als härtesten Club der Welt. Ein paar illegale Parties später wurde das Ende der Club-Ära eingeleitet und die Kunst hielt mit Theateraufführungen und Ausstellungen Einzug. 2003 kaufte der Kommunikationsdesigner Boros den Bunker. Mit Diamantsägen ließ er Teile der Decken und Wände herausfräsen, von ehemals 120 Schutzräumen blieben 80 übrig. Auf dem Dach errichtete Boros sein eigenes Penthouse in dem er heute mit Frau und Kind lebt.
Privatsammler wie Christian Boros prägen zunehmend die Kunstszene der Stadt Berlin. Sie sind mittlerweile „eine Kraft, nicht eine Macht“ sagt Ivo Wessels, Berliner Konzeptkunstsammler. Erika Hoffmann, die nicht als Sammlerin bezeichnet werden möchte, sieht sich vor allem als Kunstliebhaberin. Das Sammeln sei ihr und ihrem Mann „so passiert“ wie sie kürzlich auf dem Art Forum Berlin erzählte. Bis zum Tod ihres Mannes im Jahr 2001 lebte sie gemeinsam mit Rolf Hoffmann in einer ehemaligen Nähmaschinenfabrik. Zuerst hatten sie mit ihrer Kunstsammlung nach Dresden ziehen wollen, weil nach Berlin „ja jeder geht“. Dort aber scheiterten sie - vermutlich am kühnen Architekturvorschlag ihres Projektes von Frank Stella - und kamen 1992 dann doch in die Hauptstadt. Auf zwei Stockwerken kann sich der Besucher nach vorheriger Anmeldung die Kunstwerke in ihrer Wohnung ansehen. Jedes Jahr im Juli räumt Erika Hoffmann um. Sie fühle sich dabei „wie eine Hausfrau, die ihren Gästen eine Freude machen will“.
Anders als die Ausstellungen in den rund 175 Museen in Berlin beruhen Privatsammlungen auf dem Geschmack der Besitzer. Während Museen einen rationalen Ansatz vertreten und ihre Sammlungen auf Vollständigkeit, verschiedene Epochen und Stilrichtungen anlegen, sammeln Private subjektiv, mutiger und flexibler. Die Museen haben ihr Budget, müssen Werke reservieren und Ausschüsse befragen. In Zeiten knapper Kassen sind die Privatsammler mit ihrer Gegenwartskunst wichtig für die Museen. Sie bestimmen, was zur zeitgenössischen Kunst gemacht wird indem sie Tausende von Kunstwerken kaufen, verkaufen und besitzen. Damit halten sie den Kunstmarkt in Bewegung und verschaffen den Künstlern Einkommen und Bekanntheit. Gerade das „arme“ Berlin profitiert von den Boros und Hoffmanns in der Szene. Keine andere Stadt präsentiert so viele Ausstellungen, die ohne staatliche Bezuschussung auskommen.
In der Auguststraße in Mitte trifft vieles aufeinander, was Berlin ausmacht: Feinste Galerien wechseln sich ab mit schrammeligen Kneipen, auf einem Fußballplatz bolzen die Bewohner des Viertels. Daneben zeigt Thomas Olbricht seit Mai 2010 in seinem me Collectors Room einen kleinen Teil seiner Kunstsammlung, die mit etwa 2.500 Werken zu den größten in Europa zählt. Das von ihm konzipierte Ausstellungshaus soll eher einer Erlebniswelt als einem Museum ähneln. me steht für moving energies. Olbricht will inspirieren, den Besucher, Kurator oder Sammler, der in seine Räume kommt überraschen. Der gelernte Arzt sammelt alles, was ihn interessiert. Und ihn interessiert vieles. In seiner „Wunderkammer“ sind kleine Kuriositäten aus der Renaissance und dem Barock versammelt. Da findet sich etwa ein echtes Einhorn - dem Wissenschaftler als Stoßzahn des Narwales bekannt -, ein Schrumpfkopf oder eine milimetergenaue Miniaturausgabe des menschlichen Skeletts. Im Gegensatz zu anderen Privatsammlungen ist der me Collectors Room mit einem einladenden Café und einem kleinen Shop ausgestattet und kann von Dienstag bis Sonntag ohne Voranmeldung besucht werden. Zurzeit läuft die Ausstellung „Painting the King“ des chinesischen Künstlers Ouyang Chun, der auf riesenhaften Gemälden Kronen, Königsskelette oder Attentäter mit Blattgold, Silber und tiefem Schwarz erarbeitet hat.
Ebenfalls in Berlin Mitte ist die Sammlung Schürmann von Wilhelm und Gaby Schürmann zu sehen. Das Paar begann mit seinen mittlerweile legendären Bildern „für übers Sofa“. Die Sammlung ist ständig im Wechsel. Die Schürmanns setzen nicht auf etablierte Künstler. Sie suchen nach unentdeckten Talenten und müssen immer wieder Kunstwerke verkaufen, um sich andere leisten zu können. Die Medienunternehmerin und Sammlerin Cristiane zu Salm lud bis zum Sommer 2010 regelmässig in ihren Ausstellungsraum „about change, collection“ am Kupfergraben. Dort trafen sich Künstler zum lockeren dinieren und diskutieren. Auch Nachbarin Angela Merkel traf sich in denRäumen am Kupfergraben bereits mit ostdeutschen Künstlern. Gerade befindet sich die „about change, collection“ im Wandel. In welchen Ausstellungsräumen es weitergehen wird, ist bisher nicht entschieden. Die Sammlung von Barbara und Axel Haubrok dagegen besteht hauptsächlich aus Konzeptkunst und ist vier Mal jährlich wechselnd unter dem Namen haubrokshows in einem Projektraum am Strausberger Platz zu sehen. Zurzeit sind vor allem die Werke des Konzeptkünstlers Jonathan Monk ausgestellt. Monk hat mit dem Sammlerehepaar einen Deal, der an sich schon das Zeug zur Konzeptkunst hat: Zehn Jahre lang liefert er jährlich ein neues Kunstwerk ab. Darunter: Zwei alte Kaminuhren, die sich gegenüber stehen und dann und wann ihr asynchrones Ticken in einem Takt vereinen - ein Porträt der Haubroks.
All diese Sammler haben eines gemein: Sie wollen ihre Schätze teilen. Mit Berlinbesuchern und Berlinern, Kunstliebhabern und denen, die es werden wollen. Und sie wehren sich mit ihren Ausstellungen dagegen, dass der typische Kunstsammler aus reinem Egoismus handelt. Gegen Geschichten wie die von Saito Ryoei, Industrieller und Kunstsammler aus Japan, der 1991 beim Kauf des „Porträts des Mr. Gachet“ von Vincent van Gogh verlauten ließ: „Legt das Bild in meinen Sarg, wenn ich sterbe.“ Ryoei starb 1996, seine Sammlung hinterließ er der Welt fast vollständig: Nur „das Porträt des Dr. Gachet“ blieb bis heute unauffindbar. Berlins Privatsammler verfolgen eine andere Strategie. Zum Glück.
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